Anker-Herum-eiereien

Gehört haben wir schon davon, dass sich ein Anker in Felsen & Co so verkeilen kann, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, ihn zu heben.
Gehört haben wir schon davon, dass die Ankerwinch stöhnend und krächzend „So schwer, sooo schwer“ ruft und schließlich aufgibt, ein paar cm Kette wieder freigibt, um wieder zu Kräften zu kommen.
Gehört haben wir schon davon, dass es sein kann, dass auch die geänderte Zugrichtung auf die Kette, unter welchem Winkel auch immer, keine Problemlösung herbeiführt.

Gehört und auch selbst uns zu Nutze gemacht haben wir schon, dass EINE Funktion des Ankerballs darin besteht, einen anderen Zug auf den Anker ausüben zu können, um ihn aus gefinkelten Situationen befreien zu können. Damals auf Astypalea, als sich unser Anker im Metallgewirr am Boden verhakt hatte.
Und dann gibt es noch die Geschichten, in denen die einzige Lösung darin besteht, die Ankerkette vom Schiff zu lösen, das Ende mit Boje zu versehen und Hilfe für das Heben zu organisieren.

Aber sowas passiert ja immer nur anderen. Und immer nur ganz, ganz weit weg. In irgendwelchen exotischen Gebieten, wo z.B. die Perlentaucher zuhause sind, von denen dann einer kommt, ganz easy-cheasy einen enorm langen, enorm tiefen Apnoe-Tauchgang unternimmt – und schwupps, schon ist der Anker frei und kann ganz easy-cheasy wieder an Deck geholt werden.
Wir sind in Griechenland und ankern auf Sandboden mit ein bisschen Fels. Und auch, wenn die Flaute der letzten Tage sich in der Nacht in einen kräftigen Wind von 30 bis 35 Knoten verwandelt hat,  Vitamine am Anker ruckelte, dieser sich noch ein bisschen weiter eingegraben hat, so heißt das ja nur, das wir wenigstens die ganze Nacht über sicher hier gelegen sind. War ja immer so bis jetzt.

Am frühen Nachmittag beschließen wir, abzulegen und weiterzuziehen. Der Wind hat sich zu einem guten Segelwind gemausert.
Also Manöver „Anker hoch“ und lossegeln!

Die Ankerwinch stöhnt und krächzt, gibt einiges an Kette wieder frei und geht, am Ende ihrer Kräfte, in die Pause.
Der Käpt´n geht mit Schnorchel und Flossen in´s Wasser, um sich die offensichtlich verzwickte Ankerlage genauer anzusehen. Beim Versuch des Heben´s unter Sicht sieht der Käpt´n, dass sich das Stöhnen der Ankerwinch im Anker fortsetzt. Dem armen Anker ist es eher möglich, sich zu verbiegen, als sich vom Untergrund zu lösen!

Interessant. Optisch würde man meinen, der Anker liegt im feinsten Sandboden und hat sich dort eingegraben – also optisch, so von 8 Meter Entfernung betrachtet, alles bestens! Der an den Sandboden anschließende flache Fels ist sicher 1 Meter vom Anker entfernt, wenn nicht 2. (Das Entfernung schätzen ist eine eigene Disziplin – unter Wasser eine Königs-Disziplin!)
Ein klassischer Fall von „Der Schein trügt“ bzw. „Die Dinge sind oft anders, als sie zu sein scheinen!“
Der Wind hat noch mehr zugelegt, einfach so mal 8 Meter in die Tiefe abzutauchen ist unter diesen erschwerten Bedingungen auch für den Käpt´n nicht möglich, Vitamine einfach so mal um 180 Grad zu versetzen, mit diesem „Fixpunkt Anker“ vor ihrem Bug, auch nicht.

Wir beschließen, dass wir hier EIGENTLICH sehr gut liegen und wir EIGENTLICH gar nicht soooooo dringend weg wollen. Schließlich wissen wir jetzt EIGENTLICH, dass der Anker WIRKLICH gut hält.
Und EIGENTLICH scheint diese dunkle Wlke vom Festland auf uns zuzukommen.
Soooo viele gute Gründe, um EIGENTLICH einfach dazubleiben.

Die große, dicke, dunkle Wolke entpuppt sich als „Aschewolke“. Sie zieht giftig-gelb-ocker-farben, vom Peloponnes kommend, über uns hinweg.
Die 30 bis 35 Knoten Wind am Boden, der ordentliche Schaumkronen auf der Wasseroberfläche und dementsprechenden Wellengang produziert und Vitamine in so manchem Wellental schier verschwinden lässt, sie ordentlich zum Schaukeln bringt und sie ebenso ordentlich am Anker reißen lässt, passt gut zu diesem Gesamtbild. „Gefahr“ und „Ungeheuerlichkeit“ von oben wie auch von unten und rund um uns.
Nur der schmale hellblaue Streifen am Rand der Giftwolke zeugt von „Normalität“ und „Heile Welt“.

Um 21 Uhr – der Wetterbericht hat wieder einmal Recht – lässt der Wind nach.
Die große, dicke, dunkle Wolke ist schon längst fortgeblasen und nicht mehr zu sehen.
Die Nacht wird gemütlich.