Atlantik-Crossing – von „Ostern“ bis fast zum Äquator

Die typische Atlantikbesegelung ist der Schmetterling,- so haben wir gehört.
Weil der Kurs gleichmäßig und beständig ein Vor-dem-Wind-Kurs ist, d.h., weil der Wind gleichmäßig und beständig von hinten kommt. Na dann…
…. packen wir doch auch gleich mal den Spi-Baum aus!

Ostermontag – 6. Atlantik-Crossing-Tag (10. April 2023)

„Tiefblau“ mit ein bißchen weiß unter uns.
„Hellblau“ mit ein bißchen weiß über uns.
Die Linie dazwischen klar und deutlich, wie mit dem Lineal gezogen.

Zeit ist eine relative Größe.
Hier auf dem Atlantik scheint sie unendlich. Wie auch das Meer und der Himmel.

Die täglichen Todo´s sind überschaubar:

  • Etmal ablesen (eigenes App, das auf dem Handy mitläuft)
  • Position auf Papier-Landkarte eintragen
  • Apnoe + Spanisch üben
  • Wolkenformationen beobachten
  • hin und wieder ein Blick auf den Plotter
  • „Solar-Trocken-Apparat“ (rundes Netz mit mehreren Etagen) befüllen
  • Über luckgrip und iridium Wetterdaten holen
  • Watermaker aktivieren (nur alle 3 Tage ;-))
  • Batteriestand überprüfen
  •  Essen/Schlafen
  • Norrnkastl schauen
  • Luftschlösser bauen
  • … und a bissal traman….
  • ……. ankommen ………. genießen …….

Langsam wird der Bordalltag Routine, langsam kommt auch der Käpt´n an – in der Unendlichkeit des Seins.

Die Wassertemperatur beträgt 27 Grad – nix mehr für Kaltduscher!
Wobei wir im Cockpit: nach wie vor über Nacht die Kuchenbudl, unseren Kälteverbau, schließen. Nicht unbedingt notwendig, aber komfortabel! Die „Bikinitemperatur“ bleibt dadurch auch in der Nacht erhalten!

Hin und wieder ist die Segelstellung zu korrigieren, aber grundsätzlich läuft VITAMINE wie von alleine …. und das macht sie guuuut!
Immer seltener beäugen uns Vögel – Land ist schon richtig weit weg!

Am Nachmittag feiern VITAMINE + wir 12.000 gemeinsame Seemeilen!
Unglaublich! Und das bei 007 Grad, 16 Minuten Nord
026 Grad, 19 Minuten West

Nachdem unser Leichtwindsegel Esmeralda nicht mehr einsatzbereit ist,
(siehe Beitrag „Atlantik-Crossing – von Gambia bis „Ostern“))
sind wir doppelt froh, in Gran Canaria Vorbereitungen getroffen zu haben, um den Spi-Baum gut + sicher setzen zu können:
Fallenstopper montiert, neue Umlenkpunkte gesetzt, neue Leinenführung –  jetzt kommt das vom Käpt´n raffiniert durchdachte System zum ersten mal zum Einsatz.
Der Topnant hält den Spi-Baum nach oben, ein Niederholer nach vorne, ein NIederholer nach hinten. Perfekt durchdacht.
Und es bewährt sich hervorragend! Der Spi-Baum kann somit ohne Gefahr für Leib und Leben gesetzt werden!
Mir war diese „lange, harte Stange“ am Vordeck immer suspekt und nicht berechenbar.
Jetzt bricht auf VITAMINE eine neue, relaxte Schmetterling-Ära an!
Aktuell ist das Groß mit Bullenstander backbord gesichert und die Genua mit Spi-Baum und außenführender Schot nach steuerbord.

Der Gegenschwell und die Gegenströmung: belaufen sich häufig über einen Knoten.
„Kelpfischen“ ist angesagt. Roter Kelp ist beständig in kleinen Büscheln oder als große Teppiche auf bzw. leicht unter der Wasseroberfläche – die vegane Versorgung an Bord ist gesichert – der Angelhaken sehr schnell damit gefüllt.

7. Atlantik-Crossing-Tag

Wind und Welle kommen perfekt von hinten, die Hauptwelle von SSO – 90 Grad auf´s boot.
So gehört es sich für den Atlantik!
Auch wenn es eine unregelmäßige Welle ist, die einen starken „Wackeldackel“ produziert – wir wollen ja nicht kleinlich sein – schließlich sind wir nach wie vor von strahlend hellblauem Himmel und strahlend tiefblauem Meer umgeben.

Am Vormittag nimmt die Bewölkung zu – erstmalig wird es durchgehend bewölkt, für heute war es das wohl mit der Sonne.
AIS: Frachtschiff „Dogan“ unterwegs nach Las Palmas – 7 Meilen entfernt. Der Plotter gibt davon Kunde – ansonsten wäre es im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar „an uns vorbeigegangen“.

8. Atlantik-Crossing-Tag – 12. April

Ob wir an unserem Hochzeitstag vor 11 Jahren auch nur im entferntesten daran gedacht haben, einst auf „Boot“ zu leben und gar über den Atlantik zu schippern?
Ganz sicher nicht. Auch wenn wir einen Motorsegler für den Honeymoon gechartert hatten – es wäre absolut unvorstellbar gewesen…. wie das Leben so spielt…. „Life is a trip“!

Seit 2 Tagen sind wir im „Schmetterling“ unterwegs! Wow!
VITAMINE zieht ihre Spur sang- und klanglos, ohne irgendwelche Besonderheiten.

Heute ist es soweit: die erste Regenwolke taucht auf! Um ca, 10 Uhr am Vormittag.
Mit dem Auge und mit Radar auf dem Plotter verfolgen wir sie gespannt – sie wird doch nicht an uns vorüberziehen?
Die letzten Monate (Kapverden, Senegal, Gambia) haben wir regenfrei verbracht – Regen – bitte kommen! Bitte kommen!
Vorsichtshalber bauen wir für die Nacht den Spi-Baum ab und da sich der Wind noch ein bißchen mehr auf Raumschot verlegt, kommen Genua + Groß auf die gleiche Seite.
Dieser unser 1. Squall zieht an uns vorbei.

Aber … es folgen noch viele Squalls! Immer mit Windzunahme bis zu 10 Knoten, immer mit einem Regenschauer, manchmal mit Blitz und Donner – immer gemütlich, stressfrei und uns Freude bringend – wie schön – im Regen tanzen!
Sobald die Wolken über uns hinweg gezogen sind, ist es auch schon wieder vorbei…

Atlantik-Crossing-Tage 9 bis 11

Gemeinsames Kakaotschal im Morgengrauen – das 1. Mal!
Wir sind nicht oft gemeinsam auf um diese Tageszeit!
Wir haben keine fixen Wach-Rhythmen. Der, der müder ist, geht schlafen, der andere bleibt auf, so lange er will und kann. Der Wachwechsel gestaltet sich dementsprechend flexibel.

Unseren 1. Squall, der nicht an uns vorüberzieht, erleben wir – gleich nach dem Kakao – um 5 Uhr morgens.
Wir beobachten ihn im Radar – wie spannend! Wir tanzen im Regen + freuen uns, dass VITAMINE vom Sand aus Gambia + Senegal befreit wird!
Wer weiß – vielleicht auch hilfreich, um dem ersten Schreckmoment (der befürchtete Riss im Groß war nur Staub + Dreck, der sich an einer kleinen Falte im aufgerollten Groß angesammelt hatte) nicht noch ein paar folgen zu lassen:

Für so manche Tätigkeiten ist JETZT die richtige Zeit – unter der Obhut vom Seebärli und seinem Helfer, dem Seepferdchen:
– diverse Softschäkel- und Leinenführungstätigkeiten
– Schmökern im Ersatzteilkatalog
– Optimierungsarbeiten
– Kürbis schlachten
– „Haltet-die-Meere-sauber“ aktiv betreiben
– Dyneema-Schlingen selbst machen – In jeweils perfekter Länge!
– ein Buch zur Hand nehmen! Z.B. das Buch von Harald und Claudia (sie haben uns bereits in Cervignano inspiriert) „Die Wirklichkeit ist schöner als der Traum“ und auch das Buch von Paul (unsere Wege kreuzten sich erstmalig auf Lanzarote) „7 Jahre – 7 Meere“.

Der Versuch, über den Kutterstag in den Mast zu gelangen, um wieder einen Spi-Fall und somit die Möglichkeit für Esmeralda zu haben, wird nach einem Meter aufgrund von „zu viel Schaukelei“ abgebrochen.

Mit ausgelegter Schwimmleine als Sicherheitsvorkehrung und bei unter 3 Knoten Fahrt genießen wir den Atlantik auf der Haut! Mit Schnorchel + Brille + Flossen.

Was für ein wunderbares Gefühl!

Umgeben von dem Element, das uns umgibt!
Trotz der 29,5 Grad (der Atlantik ist „bacherlwarm“!) ist es herrlich erfrischend.

Ein kleiner Fisch dicht unter einer ebenso kleinen schattenspendenden Seetang-Insel kommt mir entgegen – wie entzückend!
Rund um VITAMINE´s Kiel schwimmt eine Fisch-Truppe – mindestens 30 Fisch-Seelen stark!

Die See ist ruhig. der Wind lässt nach – er kommt von Raumschot mit nur mehr 10 Knoten. Die Idee, die Forscherinseln zu besuchen, verwerfen wir wieder. San Pedro e San Paulo würden zwar in 133 Meilen quasi auf dem Weg liegen – aber bei Flaute ….. nein. Wir bleiben auf Kurs.

Unsere Li-Fe-Po-Batterien haben abends noch um die 60 Prozent – wie toll das aber auch funktioniert mit Solar + Windenergie pur! Strolchi (unsere Solarpaneele) + Susi (unser Windgenerator) sind ein gutes Team! Auch unsere Lithium-Batterien passen genial dazu!

Sepp hat erstmalig die Nacht „blau“ gemacht und ist in der Koje geblieben. Die letzten Nächte habe ich ihn immer erst so zwischen 4 und 5 Uhr morgens abgelöst.

MIttlerweile fahren wir nicht nur vor dem Wind oder Raumschot – mittlerweile ist es auch mal halber Wind oder sogar hart am Wind. Bei 8 – 11 knoten, manchmal bis zu 16 – also auch mit Schräglage eine gemütliche Segelei!

Und dann ist er auch mal ganz weg, der Wind!
Poseidon + Erasmus klinken sich aus – gehen wohl auf ein Meeting.
Zeit für Paulis Dienstantritt!
Am Tag 11 der Überquerung wird er erstmalig angeworfen – wir sind sehr zufrieden!
Pauli auch – unser braver Volvo Penta tuckert und tuckert und tuckert und „läuft wie am Schnürchen“ bzw. „wie am Keilriemen“!

Noch 370 Meilen und kaum Wind vorhergesagt.
Hm… jetzt ist wohl ein Wind-Tanz fällig! Das mit dem Regen hat ja wunderbar geklappt!

Jööööööh…. es gibt sie noch, die anderen Boote!
Wir haben sogar Sichtkontkt mit dem Frachter „CMA CGM Paranagua“!
Tage sind bereits vergangen, seit wir Frachtschiff „Coresky OL“ ca. 10 Meilen von uns entfernt, mit 10 Knoten unterwegs, somit fast doppelt so schnell wie wir, auf dem Plotter gesichtet hatten.

Und auch das Frachtschiff „FS Sauvan“ in 2,5 Meilen Entfernung – gut zu sehen – so lange wie die 1. 2 Glieder meines kleinen Fingers, ist schon viele, viele Stunden her.

An diesem unserem 10. Atlantik-Crossing-Tag verschwindet die 1.180.ste Atlantik-Meile dieses Turns im Kielwasser von VITAMINE!