Wasser, so weit das Auge reicht, Wasser bis zum Horizont.
Ein Horizont, dessen Grau nur schwer zu unterscheiden ist vom uns umgebenden, allumfassenden, allgegenwärtigen Blau.
Der Übergang ist fließend. So wie es auch rund um uns fließt – das Wasser, der Wind, die wenigen Sonnenstrahlen – so fließt auch unsere „Nuss-Schale“ und wir.
Wir 4 Lebewesen, deren Wege sich erstmalig vor wenigen Tagen in Gibraltar gekreuzt haben.
Wir 4 Zwei-Beiner, für die diese 12 x 3,6 Meter (an der jeweils längsten bzw. breitesten Stelle) unserer „Nuss-Schale“ aktuell „die Welt“ (Lebens-Mittelpunkt puncto Fortbewegung, Wunscherfüllung, Ernährung, Schlafen, Sicherheit ….. )bedeutet.
Hin und wieder schaut ein Vogel vorbei, noch seltener sehen wir die Umrisse eines Frachtschiffes in weiter Ferne. Kein Land in Sicht.
Das nächste Land ist unsichtbar – ca. 4000 Meter unter uns.
Wir sind im „Blauwasser“.

Wir sind eingetaucht.
Eingetaucht in die Unendlichkeit des Meeres.
Eingetaucht in eine Welt, in der „Zeit“ unwesentlich ist.
Eingetaucht in das Gefühl, unendlich wichtig und gleichzeitig unendlich unwichtig zu sein.
Eingetaucht in eine Prise des Eins-Seins mit Wind, Wasser, Sonne – und sonst nichts.
Eingetaucht in ein Universum, das genauso real wie auch irreal ist.

Zeit, um auf das Anschlagen der Wellen und das Geräusch des Windes zu hören.
Zeit, um die Wasseroberfläche und die Wolkenformationen am Himmel zu beobachten.
Zeit, um die Reduktion der Umgebungseinflüsse zu genießen.
Zeit, um sich auf sich selbst zu fokussieren.





Die Genua streckt ihr Horn neugierig weit in´s Wasser hinaus und steht prall im achterlichen Wind an diesem 2. vollen Tag des Blauwasser-Segelns von Barbate zu den Kanaren.
Erstmalig seit der Neu-Konstruktion des Niederholers ist die Genua ausgebaumt.
Wir machen 3 Knoten Fahrt bei 7 bis 10 Knoten Wind.
Die Wetterlage rund um Vitamine als auch die Stimmungslage auf ihr ist ruhig und gemütlich. Sympathisch. Harmonisch. Lebens-Wert.
Es ist bewölkt und diesig. Das Teak von Vitamne trocknet erst in der Mittagszeit ab, als ein paar Sonnenstrahlen hinter der Wolkendecke hervorblinzeln.
Diese strahlend-wärmenden Boten von „ganz oben“ animieren uns:
Wir werfen die Schwimmleine aus und springen hintennach!
Die 19,5 Grad Wassertemperatur erfrischen Körper, Geist und Gemüt gleichermaßen! Eintauchen mit jedem mm2 Hautoberfläche in das Universum rund um uns.
Wie zauber-haft! Wie be-rührend!





Der Gennaker, (das „große, bunte Tuch“) zeigt uns, was er aus 9 Knoten achterlichen Wind herausholt: beachtliche 5-6 Knoten Fahrt!
Die afrikanische Küste ist etwa 50 Meilen entfernt. Nach Befragung der Wettervorhersagen war der Plan, in 70 bis 100 Meilen Entfernung entlang der afrikanischen Küste in den Süden zu gleiten.
Nähert sich uns oder nähern wir uns der vorhergesagten Flaute in Festlandnähe?

Was für ein Unterschied zu den vorangegangenen 48 Stunden!
Seit dem Auslaufen in Barbate am späten Nachmittag standen die Zeichen auf „stürmisch“ und „bewegt“.

Auf der ganzen Strecke von Barbate bis nach dem Durchqueren der trichterförmigen Verlängerung der Straße von Gibraltar, dem Verkehrstrennungsgebiet der Berufsschiffahrt.
Die ganzen ca. 50 langen Meilen hindurch.
Bis zu 30 Knoten Wind, bis zu 40 Knoten Böen und 3 bis 4 Meter Welle – der Atlantik zeigte sich ab dem Hinausstrecken der Nase aus dem Hafen von Barbate am Nachmittag bis zum Ende unseres 1. vollen Tages auf See am Folgetag von seiner raueren, ruppigeren Seite!
Wir sind sicher: Er hätte noch (viel) mehr zu bieten – aber ….
Die Vorführung war beeindruckend genug – Danke! Es reicht! Wir haben verstanden!
Die ganze 1. Nacht war es notwendig, von Hand zu steuern – bei den kurzen Versuchen, an Fritzi zu übergeben, fing er immer wieder nach kurzer Zeit zum piepsen an und signalisierte damit, dass er Hilfe brauchte.
Der Tag, der dieser interessant-anstrengenden Nacht folgt – unser 1. voller Tag auf See bei diesem Turn – liefert uns die gleiche Windstärke, die gleich hohen Wellenberge, aber doch sind die uns regierenden Elemente insgesamt etwas konstanter, etwas gleichmäßiger. Damit kommt Fritzi auch längere Zeit klar – sehr entlastend für den Käpt´n.
Er war es,, der die meiste Zeit hinter dem Steuer verbracht hat und Vitamine gut und sicher durch die Wellenberge geführt hat.
Delphine haben uns ganz bestimmt begleitet und uns energetisch unterstützt. Einmal hat sie der Käpt´n auch gesehen!


Wir sind nur so dahingeschossen: Das Etmal kletterte auf stolze 142 Meilen.
Und das bei minimaler Besegelung.
(Das „Etmal“ ist die zurückgelegte Wegstrecke eines Schiffes von Mittag bis Mittag.
Es ist somit ein Maß für den Reisefortschritt eines Tages und hatte in Zeiten vor Satelliten, GPS & Co auch eine wichtige Bedeutung als Standortbestimmung.)
Wir hatten in den letzten 24 Stunden eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 6 Knoten.
Die maximale Surfgeschwindigkeit in der Welle betrug 15 (!) Knoten laut GPS !
Wow!
Vitamine war so schnell, dass sie sich fast selbst überholt hätte!
Go, Vitamine, Go!
Am Abend, als „Blau“ und „Grau“ in ein einheitliches, allgegenwärtiges „Schwarz“ überging, als wir die Verlängerung der Meerenge von Gibraltar passiert hatten, ließ der Wind nach.
Er wird sich wohl weiter auf seiner Gibraltar-Spielwiese vergnügt haben – wir zogen davon!
Kurs von 224 war geplant, ganz einhalten konnten wir ihn nicht.

Ah!
Und heute!
Am 2. vollen Tag auf See:
Das so andere Erleben!
DAS ist Atlantik-Reisen „wie aus dem Segler-Katalog“: 8 bis 12 Knoten achterlicher Wind über Stunden und Stunden…..
Unter Gennaker halten wir den Kurs genau auf unseren Wegpunkt.
Das Bergfest (die Halbzeit der Wegstrecke) liegt bereits hinter uns: 295 Meilen liegen im Kielwasser – 280 Meilen vor dem Bug.

Es ist nach wie vor kühl.
Meistens verstecken wir uns hinter dem Kälteschutz im Cockpit. Dort ist es windgeschützt und deutlich wärmer.

Wobei……
„wir“ bezieht sich auf die alte Crew.
Die neue Crew verbringt viel Zeit auf dem Vordeck und auch auf dem besten Platz, den VITAMINE zu bieten hat!
Stunden ….

…. über Stunden!
Der Gennacker wechselt die Seite ‚
– unsere Bug-Bankerl-Sitzer auch! *lach*
Sonnenuntergang!
Der Kurs stimmt! Wir fahren gen Westen!

Und erstmalig fahren wir den Gennaker auch mit Gennakerbaum
– mit dem neu umgebauten, ausgeklügelten Leinensystem klappt es hervorragend!
Das – für mich – höchst gefährlich wirkende Herumturnen mit freiem Gennakerbaum am Vordeck fällt weg.
Jetzt ist er auch für mich, für meine Nerven, gut einsetzbar!
In der Nacht zeigt sich das Himmelszelt sehr abwechslungsreich:
von „Millionen von Sternen“ bis „grau in grau“ Der Mond ist erst in der Früh in zartem Pastell-Look zu erspähen.
Bei 9 bis 11 knoten Wind machen wir 5 bis 7 Knoten Fahrt– danke, Gennaker!
Und wir konnten die notwendige Kursänderung von 20 Grad durchführen – das wäre ohne dieser gelungenen Konstellation nicht möglich gewesen – Das macht Freude!
Auch tagsüber schwankt die Himmelswelt zwischen stark bewölkt bis sonnig, das Cockpit ist um 10 uhr vormittags noch taufrisch wie in der Nacht.

Der kleine Octopus, der des Nächtens auf Deck landet, wird interessiert beäugt und dann wieder dem Meer zurückgegeben


Wir sind im Bereich der Berufs-Schiffahrt, aber keiner kommt uns so nahe bzw. wir ihm,
(Plotter bei Tag….
…. und bei Nacht)

…. dass er oder wir das Bedürfnis gehabt hätten, per Funk Kontakt aufzunehmen oder Ausweichmanöver zu starten.
Wir alle ziehen ruhig unserer Wege.
An unserem 3. Tag auf See (dem letzten Jännertag 2022) gibt uns die Sonne einen Vorgeschmack auf „Süden“!
Genial!
Die Besegelung besteht manchmal aus Genua, manchmal aus Gennaker – immer kommen wir gemütlich voran. Über Stunden ohne die geringste Kurskorrektur.
Nur mehr 135 Meilen bis zum Wegpunkt, den wir ca. 5 Meilen vor Lanzarote gesetzt haben.
Tagsüber ist es bewölkt, aber WARM-feucht, abends kühl. Ja – wir kommen in den Süden!
Die Temperatur nähert sich langsam an, die Luftfeuchtigkeit ist bereits fast so hoch wie in den Tropen: 70 bis 80 Prozent – der Bauch von Vitamine lässt Gedanken an eine Tropfsteinhöhle aufkommen.
Batteriestand um 10 Uhr vormittags: noch immer 30 Prozent (Sonne und Wind halten unsere LiFePo-Batterien (Lithium/Ferrum/Phosphor-Batterien) bei guter Laune.
Auch die Wassertemperatur zieht mit: 19.9 Grad! Süden wir kommen!
Der 4. Tag auf See. Lourina hat ihre Seekrankheit überwunden und braucht auch keine Cinnariini-Tabletten mehr.
Wie schön! jetzt fühlt sie sich rundherum wohl – der Genuß an dieser Art des Reisens beginnt für sie JETZT!
Auch die Tage davor hat sie es geschafft, sehr gut mit sich und uns umzugehen. Die Übelkeit war da – aber nie hat sie es zu einem wahren Problem gemacht. Nicht für sich und nicht für uns. Sie hat die Herausforderung angenommen – und bravourös gemeistert!
Wir sind die 2. Nacht unter Gennaker unterwegs.
In der Früh wechseln wir den Gennaker von backbord auf steuerbord.
Nach dem Bergen und dem erneuten Aufziehen sehen wir das Himmelsblau durchleuchten: Ein Riss im weißen äußeren Teil im oberen Drittel – dafür wird wohl die oberste Saling verantwortlich zeichnen.
Na dann …. Genacker wieder bergen, in den Saloon verfrachten, aufbreiten, Vorreinigung mit Alkohol und mit dem speziellen Gennaker-Tape, das erstmalig zum Einsatz kommt (wir graben sogar die richtigen Farben (rot + weiß) aus den Verstecken) wieder heile machen.
Abgesehen von dem Riss fällt bei der genaueren Begutachtung auch auf, dass im roten Teil kleine Löcher sind – eine „Verschleißerscheinung“ – schließlich ist er nicht mehr jungfräulich.
Der Segelsack wird bei der Gelegenheit nachgenäht Auch so kann ein Vormittag vergehen.
Und so nebenbei haben wir bereits 483 Meilen zurückgelegt, das letzte Etmal waren 122 Meilen.




Es läuft!
Einzig das Decklicht ist ausgefallen und im WC ist die Wasserpumpe undicht.
Ansonsten: Es läuft! Vorwärts! Und das guuuut!
Der frisch verarztete Gennaker wölbt sich wieder bei Vitamine´s Bug und zieht uns prächtig voran. Die Welle wird länger (das Gefühl von Atlantik-Segeln steigt!), die Batterie ist – dank Sonne + Wind – auf 41 %, Tendenz steigend.
Seit 4 Tagen sind wir unterwegs ohne Motorenlärm – nur von der Kraft des Windes vorangetragen. So macht Atlantiksegeln so richtig Spaß!
Unsere 2 Gibraltar-Katzaln sind quasi auf´s Vordeck gezogen. Sie machen es sich Stunde um Stunde auf Vitaminchen gemütlich, schlafen, reden, genießen…..
In unserer gemeinsamen Zeit führen wir vielschichtige Gespräche, haben Spaß, die notwendigen todo´s laufen hand in hand – unkompliziert und wie selbstverständlich.
Fey hat ein Jahr in Nicaragua verbracht. Das ist sehr vorteilhaft für meine Spanisch-Kenntnisse. Mein Sprachprogramm ist sehr gut aufgebaut, verzichtet allerdings vollständig auf Hilfen und Erklärungen, ganz nach dem Motto „Friß oder stirb“.
Fey konjugiert mit Lourina und mir geduldig und gewissenhaft die wichtigsten Verben in den verschiedenen Zeiten. Und so weiter und so heiter. Muchas gracias!
Und nach dem Abendessen verschwinden die 2, meistens gemeinsam, in ihrer Heckkabine und werden ca. 14 Stunden nicht gesehen. Jungkatzaln eben. Sie brauchen noch viel Schlaf!
Und auch Zeit für interessante Gespräche, lustige Intermezzos, schöne Gitarrenklänge und wohlklingende Gesangseinlagen.
Und natürlich auch Zeit zum Kochen, Essen, Ruhen, Schlafen ……





Wir sehen eine Schildkröte und – als ganz besonderes Erlebnis: Delphine in der Nacht!
Das Plankton im Wasser leuchtet auf wie tausend Glitzerteilchen, wenn es „bewegt“ wird. Beim Anschlagen der Wellen an Vitamine zu beobachten, beim nächtlichen Schwimmen und …. das 1. Mal, das wir es erleben dürfen – bei Delphinen !
Die Delphine sind von Glitzer umgeben und ziehen einen „Kometenschweif“ hinter sich nach. Zu Vitamine schießen glitzernde Strahlenkörper, die schwerelos von rechts nach links tanzen, sich in einer langen Lichterkette aneinanderreihen, sich verjüngen und schließlich auflösen.
Ein fantastisch-bombastischer Anblick! Wie gut, dass sich unsere Jungkatzaln heute bis in die Dunkelheit der Nacht hinein am Vordeck vergnügt haben!
Heute, am 5. Tag auf See,, nach 4 Tagen Blauwasser pur, ist es soweit: Land in Siiiiiiicht!
So schön es auch ist, ein Ziel zu erreichen – der gemeinsame Tenor ist:
„Wie – schon bald da?
Wir sind ja noch gar nicht lange unterwegs!
Es ist ja noch viiiiiiiiel zu früh! „
Wie fein! Nicht nur wir, die wir es lieben, auf Blauwasser unterwegs zu sein, auch unsere Gibraltar-Katzaln haben diesen Spirit für sich gefunden und erleben dürfen!






Kaum sind wir im Bereich von Lanzarote + La Graciosa verändert sich die Luftqualität.
Der Wind dreht und kommt nun vom afrikanischen Festland:
Feucht-warm wird zu trocken-warm! Spür- und fühlbar!
In der Bucht „Playa Francesa“, im SW von La Graciosa, der kleinen Insel die, Lanzarote im Norden vorgelagert ist, werfen wir nach knapp 5 Tagen auf See den Anker.
Das Ausflugskat , dessen -zig Gäste sich gerade noch im Wasser vergnügt haben, ergreift die Flucht, sobald wir kommen.
Das klare Kanarenwasser der Bucht, der schöne, langgestreckte Sandstrand am Ufer und der Blick auf den Vulkan – alles unser!
Es ist sonnig …. es ist warm …. – und der 1. Sprung in´s Wasser ist ganz besonders „besonders“ !
Wie schön, angekommen zu sein!




