Wir erkunden neues Terrain:
Erstmalig werfen wir den Anker in einer Bucht gleich um´s Eck von Analipsi, dessen nordwestlicher Teil früher mal eine Fischzucht beherbergt haben muß. Sowohl das am Ufer vor sich hinmodernde Gewirr an Stangen- und Netzmaterial, das verfallende Zuchtwart-Häuschen als auch Eisenstangen und -ketten in verschiedensten Formen, Längen, Stärken und Ausführungen, die auf dem Boden der Bucht verstreut sind, zeugen davon.
Unser Anker liegt glücklicherweise im Süden der Bucht – weit weg von dem Eisenstangen-Gewirr.
Fische haben allesamt das Weite gesucht – es ist keine einzige Flosse zu sehen, das Unterwasserreich wird beherrscht von einer einzigen kleinen Qualle. Wir sorgen für Abwechslung im Quallen-Dasein: Hin und wieder bekommt sie dieser Tage Besuch von kurzen Schwimm-Flossen samt menschlichem Anhang.
Den kräftigen Südwind sehen wir backbord mit durchaus kräftigen Schaumkronen-Wellen Richtung Analipsi ziehen – wir bekommen nur die Ausläufer mit, sprich nette kleine Schaumkrönchen-Wellen, begleitet von einer Art von Schaukelei, die Sepp in seinem Bord-Office gut verträgt.
Der Wind bläst munter mit ca. 25 Knoten weiter, in der Nacht ist es soweit ruhig, aber am Vormittag schlägt der Ankeralarm an: Wir bewegen uns aus dem normalen Schwenkkreis heraus und das teilt uns das Anker-App mit einem durchdringenden, unüberhörbarem Pieps-Ton mit.
Gute Arbeit! Sehr gut! Setzen! (heißt im Falle Ankeralarm: „AUS“)
Für´s Erste beobachten wir in aller Ruhe – die freie Wasserfläche hinter Vitamine ist noch groß – unser Abdriften, in gut seemännisch: unser Slippen. Die Hoffnung lebt, dass der Anker wieder Halt findet. Und tatsächlich – Vitamine pendelt sich wieder ein in ihrem gewohnten Anker-Halbkreis, ca. 50 Meter weiter im Nord-Westen als der Erste.
Fein!
Hm … Nord-Westen …. Kann es sein, dass wir in ein mehr oder weniger großes im wahrsten Sinne des Wortes verhängnisvolles Problem geslippt sind? Laut Echolot liegt der Anker jetzt auf ca. 12 Meter Tiefe – eine auch für den Käpt´n (ich habe schon bei 5 Meter keine Chance) schon zu beachtliche Tiefe, um mal eben schnell abzutauchen um den Anker aus einer mißlichen Lage zu befreien….
Uuuuups!
Ab in´s kühle Blau mit Schnorchel (für den klaren Unterwasser-Blick)
& Flossen (zwischen dem Bug von Vitamine und dem Anker liegen ca. 40 Meter und auch Schaumkrönchenwellen bilden bereits eine kräftige Gegenstromanlage)
& Unterwasserkamera (für die Nachbesprechung) bewaffnet.
Als reine Vorsichtsmaßnahme mit ausgelegter Schwimmleine, befestigt an Vitamine´s Heck.
Aber: Wo genau ist unser Anker? Die Ankerboje, die doch gerade noch gut zu sehen war, ist nicht mehr ausfindig zu machen! Somit startet „Mission Ankerkontrolle“ mit „Suchaktion Ankerboje“.
Und tatsächlich: Als ich von Vitamine´s Bug aus der schräg nach unten ziehenden Ankerkette an der Wasseroberfläche folge, kommt die Ankerboje in´s Schnorchel-Blickfeld:

Gut 3 Meter unter der Wasseroberfläche steht sie kerzengerade nach oben. Braves Teil. Sie tut ihr Bestes – aber ihr Wille, nach oben zu kommen, wird von der Leine gestoppt, die sie mit dem Ankerbügel verbindet, denn diese ist „nur“ um die 9 Meter.
Für unsere üblichen Ankertiefen (bis zu 8 Meter) bei Weitem ausreichend. Durch die Slipp-Aktion ist der Anker aber in tiefere Gewässer gekommen.
Erster Teil des Manövers erfolgreich abgeschlossen!
Es folgt Teil 2: „Suchaktion Anker“:
Ich bin zum einen froh, dass wir eine Ankerboje überhaupt ausgelegt haben, denn die Sicht auf 12 Meter Tiefe ist trüb, ohne den Anhaltspunkt des Ankerbojen-Seils könnte ich nicht ausmachen, wo der Anker genau liegt, und zum anderen froh, die Unterwasserkamera mitzuhaben, um auf den Fotos dann – hoffentlich – mehr an Einzelheiten zu sehen und die Ankerlage besser beurteilen zu können. So schieße ich nahezu blind Richtung verschwindendes Seil etliche Fotos – irgendwo da unten muss er ja sein, der Anker. Ich glaube, ihn auch ausfindig zu machen, aber sicher wäre ich mir nicht.
Der 2. Teil der „Mission Ankerkontrolle“ findet somit seinen Abschluß an Bord, mit den modernen Mitteln der Technik, vor denen der Käpt´n gerade seinen Bord-Office-Dienst versieht.
Tatsächlich! Unser 20-kg-Rocna-Anker hatte wohl ordentlich Slipp-Fahrt aufgenommen, denn er hat aufgeräumt da unten: er hat das gesamte Eisenmaterial auf einen Haufen geschoben, bis er sich in dicken Eisenketten und ineinandergeschobenen Teilen wortwörtlich gut „verankert“ hat.
Wie beruhigend! Auch wenn diese Nacht der Südwind noch stärker werden sollte – wir liegen sicher! *Humor ist, wenn man trotzdem lacht*
Wie wir den Anker wieder zurück in den Bugkorb holen werden, ja das … , ja das werden wir uns morgen überlegen!
Nach einer gut und ruhig durchschlafenen Nacht geht dem Wind im Laufe des Vormittags die Puste aus und wir machen uns um die Mittagszeit daran, den Anker wieder an Bord zu holen:
Plan A: Der Käpt´n verlässt das Schiff. (Männer und Käpt´ns voraus“ oder wie hieß das doch gleich im Ernstfall?)
Also: Plan A: der Käpt´n verlässt das Schiff mit Schnorchel & Flossen & Schwimmleine, mit dem Ziel, den Anker unter Sichtkontrolle aus den eisernen Unterwasser-Fängen zu befreien, falls notwendig durch Anbringen der Schwimmleine an der Ankerboje.
Der primäre Sinn & Zweck einer Ankerboje ist es schließlich, mithilfe des Ankerbojen-Seils den Anker am Bügel aufzuheben, um ihn von Hindernissen „ausfädeln“ zu können.
Meine Aufgabe ist es, am Bug die elektrische Ankerwinch zu betätigen und damit Vitamine langsam, auf die Handzeichen des Käptn´s achtend, Richtung Anker zu ziehen. Soweit so gut. 30 Meter Kette sind bereits im Ankerkasten verschwunden. Und die Ankerkette verläuft mittlerweile annähernd parallel zum Ankerbojen-Seil. Jetzt geht´s um die Wurst. Jetzt geht´s darum, den Anker selbst aus seinen Verstrickungen zu lösen.
Die bis jetzt klaglos arbeitende Winch beginnt zu ächzen – ein Zeichen der Überforderung. Der Anker hängt fest.
Aber der Käpt´n ist ja für diesen Fall gewappnet. Er holt tief Luft und mutiert kurzfristig zum Haubentaucher, um die Ankerbojenleine mittels der Schwimmleine zu verlängern. Schwupps ist der Käpt´n wieder an der Oberfläche. Manöver geglückt. Der Manöverschluck besteht diesmal aus maritimen Salzwasser.
Von meiner Seite „nur“ ein Anker-lichten unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen, für den Käpt´n hat die Situation einen weitaus höheren Seltenheitsfaktor!
Während er mit der rechten Hand an der Ankerkette hängt, versucht die linke Hand den Anker zu heben. Ein Kräfte-Geschicklichkeits-Spiel. Ich spiele derweil mit der Anker-Winch. Kette runter, Kette hoch, ziehen, lösen, hinauf, hinunter. Und das solange, bis der Anker sich bereits vom Boden gelöst hat und sich nur mehr in einer einzigen Kette verfangen hat! Das erfolgreiche Ende ist nahe! Noch ein paar Varianten von Ziehen/Zerren, rauf/runter und es ist vollbracht! Die Handzeichen des Käptn´s bekunden Freude, die Lautäußerungen sind durch den Schnorchel nicht eindeutig zuordenbar, würde ich aber auch als solche interpretieren.
Die Winch rattert wieder zufrieden vor sich hin und die restlichen 12 Meter Ankerkette rasseln mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in den Ankerkasten und zu guter Letzt hängt auch der Anker feucht-glänzend wieder im Bugkorb!
*Halleluja*
Plan A war erfolgreich!
Plan B kann ad acta gelegt werden: Sauerstoff-Flasche (Danke, lieber Hasi, für die Bereitstellung), Tauch-Jacket und -Zubehör bleiben weiterhin in den Tiefen der Bugkabine!